Glasfasern 96
Angst-Raum
Das
allgemein grassierende Gefühl der Unsicherheit habe verheerende Auswirkungen
auf den Standort Stadt, klagt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und
Gemeindebund. Bedenkt man überdies die verheerenden Auswirkungen der Schweinepest
auf das deutsche Dorf, bleibt kaum ein Quadratmeter mehr, wo noch ein anständiger
deutscher Standort zu errichten wäre. „Regelverletzungen, Ordnungswidrigkeiten
und gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten“ nähren die Furcht im Volk; wohin
man blicke, seien „Angsträume“ entstanden, moniert denn auch der Vorsitzende
der Polizeigewerkschaft, Hermann Lutz.
Wohl wahr -
Asylbewerber ohne Paß werden schon gleich am Flughafen in einen hochmodernen
deutschen Angstraum gesperrt, der präzis so eingerichtet ist, daß sie sich
fragen müssen, ob die Entrechtung, der sie entflohen sind, nur das Personal gewechselt
hat. Dabei wäre schon der Große Lauschangriff nicht nur für politische
Flüchtlinge, sondern auch für finanzkräftige Investoren Grund genug, einen großen
Bogen um unseren Standort zu machen. Das Fernbleiben ausländischen Kapitals
und der Rückgang der Asylberwerberzahlen zeigen, daß die Botschaft allmählich
verstanden wird.
Verfällt
schon der Standort, mauern wir uns eben ein. Rühes Einzelfälle rechtsradikaler
Umtriebe in der Bundeswehr, dazu die täglichen Einzelfälle neonazistischer Gewalttaten
reichen schließlich aus, um aus der Festung Europa eine schöne Festung
Deutschland zu machen - einen deutschen Angst-Raum, in dem Heideggers Geist wieder
umgeht und Manfred Roeder zum Rektor der Bundeswehr-Führungsakademie avanciert.
Angsträume
entstehen dort, wo „Verschmutzung nicht beseitigt, Verwahrlosung geduldet und
Zerstörung nicht bestraft wird“, so der Polizeigewerkschaftler Lutz. Beklommen
fühlt man sich in die früheste Nachkriegszeit zurückversetzt. Manches andere
gemahnt eher an eine Vorkriegszeit. Ein Bundesinnenminister zum Beispiel, der
an die deutsch-französische Grenze reist, um sich, umgeben von seiner
Bundesgrenzschutz-Generalität, dem Ansturm aus dem wilden Kurdistan zu widersetzen.
Zwei Kurden sollen an jenem Abend tatsächlich einen Grenzüberschreitungsversuch
begangen haben. Da stand er nun: wie Roland im Tal von Roncevalles; die Heiden
kamen nicht, aber sein Scheitel blitzte metallisch im Scheinwerferlicht.
Vorkriegs-
und Nachkriegsstimmung vermischen sich seltsam in diesen letzten Jahren des
Jahrhunderts. Aber zu einem richtigen Krieg mit aufmarschierenden Heeren will
das alles nicht recht passen. Die Aggression richtet sich gegen „gesellschaftlich
unerwünschtes Verhalten“ - und gegen Grenzgänger, die es importieren könnten.
Gegen Verschmutzung, Verwahrlosung und Zerstörung, die überhand nähmen, wenn
die Grenzgänger weiterhin unsere Grenzen überfluten und sich massenhaft
einnisten würden. Und gegen die Nachbarn, die ihre eigenen Grenzen nur unzulänglich
verzäunen. Hat nicht Kanthers sozialdemokratischer Vasall, der Innenminister
Niedersachsens, den wahren Feind in Rom ausfindig gemacht? 2600 halberfrorene,
ausgehungerte, verängstigte kurdische Flüchtlinge hatten die Italiener nicht
etwa ins Meer zurückgejagt, wie Glogowski es gern gesehen hätte, sondern
befristet bei sich aufgenommen - eine typisch südländische Humanitätsduselei,
eine sicherheitsabträgliche Ordnungswidrigkeit, in jedem Fall aber eine
Regelverletzung, mit der sich Italien vorerst als unwürdig erwiesen hat, in die
deutsch eingezäunte Festung Europa aufgenommen zu werden. Mag unser Standort
auf den Hund kommen - zumindest unser Angst-Raum soll erhalten bleiben.
Klaus Kreimeier
1998