Glasfasern 92


Totgesagter Park

 

Eine internationale Hotelkette wirbt für ihren Nordsee-Tropen-Parc mit „natural daylight & air“, woraus zu schließen ist, daß natürliches Tageslicht - von der guten Luft ganz zu schweigen - in den Parklandschaften von heute eine Seltenheit geworden und den zunehmend unerschwinglichen Gütern zuzurechnen ist. Erstaunlich ist dies nicht, denn als Prototyp des modernen Parks ist zum Beispiel der Singapore Science Park anzusehen, eine Schöpfung der Elektronikfabriken Sony und Exxon, die auf ihrer Website immerhin noch mit einer „üppigen landschaftlichen Umgebung“ prahlen können - nicht ohne den Hinweis darauf, daß Banken und Industriekonzerne gleich um die Ecke liegen. Auch der Lion Industrial Park bei Peking will westliche Geschäftsleute mit seiner „excellent location“ locken, und der Bioindustrial Park in Canavese bei Turin präsentiert sich im Internet mit einem com­putergenerierten Landschaftspanorama, auf dem hinter den containerartigen Ge­bäuden der Biotechnologen die Mauern eines mittelalterlichen Klosters zu sehen sind.

Domestizierte Natur war die Parklandschaft schon immer, Sehnsuchtsbild einer entfremdeten, aus dem Garten Eden exmittierten Menschheit. „Komm in den totgesagten park und schau:/ Der schimmer ferner lächelnder gestade/ Der reinen wol­ken unverhofftes blau/ Erhellt die weiher und die bunten pfade“: allein die Kadenzen der Trauer  in Stefan Georges Versen mortifizieren die reine Landschaft, die sie besingen, und versenken sie in der Imagination. Freilich - immer hat es melancho­lische Industrielle oder Aristokraten wie jenen Lord Hanbury gegeben, die bizar­re Kopien vom geträumten Paradies an ligurischer oder kalifornischer Küste erschaffen ließen: der Park in seiner (westgermanischen) Bedeutung als „Pferch“, eingezäunte Natur. Einen Pferch für Dinosaurier verwirklichte der von Richard Attenborough gespielte Millionär John Hammond auf einer Insel bei Costa Rica und nannte ihn Jurassic Park.

Mit der elektronischen Revolution wird der totgesagte Park in ungeahnter Weise semantisch aufgerüstet und zum „locus amoenus“, zum lieblichen Ort einer di­gitalen Welt geadelt, die vorgibt, sich von der naturalen Basis der Zivilisation definitiv verabschie­det zu haben. Gewerbe-, Industrie- und Maschinenparks gibt es schon lange; jetzt schießen die Virtual Industry Parks, Cyber Parks und Software Technology Parks aus dem vorzugsweise asiatischen Boden: in Japan oder in Hongkong, im indi­schen Bangalore oder an den Küsten Malaysias. George sammelte in seinem Gedicht noch ein, „was übrig blieb von grünem leben“: die Hinterlassenschaft der Sonnentage im „herbstlichen gesicht“. Die neuen Sonnen der Computer-Parks hingegen kennen keine Jahreszeiten mehr, Licht und Farben stammen aus dem Rechner.

Da in diesen und ähnlichen Anlagen voraussichtlich auch die Waffensysteme der Zukunft ausgebrütet werden, holt den Begriff ganz unverhofft seine eigene ety­mo­­logische Vergangenheit wieder ein: parc bedeutete in der französischen Sprache des 17. Jahrhunderts soviel wie Arsenal, militärisches Depot und Abstellplatz für die Geschütze.

 

         Klaus Kreimeier

         1997