Glasfasern 90


Bilder-Kampf

 

Bilderfeindschaft und -verbot predigten schon die frühen Kirchenväter; im 16. Jahrhundert verleiteten sie „Schwarmgeister“ zu jener Spielart des religiösen Ter­rorismus, die den Weg zu Gott mit den Trümmern seiner von Menschenhand ge­schaffenen Abbilder pflasterte. Die Angst vor dem Bildnis, das Erschrecken vor dem künstlerisch oder technisch manipulierten Abdruck der Natur, auch der blanke Haß auf die Signatur des Sinnlichen, die jeder Anschaulichkeit innewohnt, sind in vielen Kulturen beheimatet.

In der kurzen Zeit von der Erfindung der Fotografie bis zum Digitalfernsehen hat nun die Macht der Bilder, so will es scheinen, alle Fes­­seln abgeworfen und alle Feindschaften besiegt. Sonderbar: Seit Bilder wie Hagel über uns kommen, seit sie wie Insektenschwär­me durch unsere Zimmer und Hirne schwirren, haben auch Alptraum und Angst, Abwehr und selbst Zerstörungswut vor der puren Masse den Rückzug angetreten. Bilder liegen herum, fliegen durch die Luft und springen aus allen möglichen Kästen und Kisten heraus. Aber sie können uns nichts mehr anhaben, also tun wir auch ihnen nichts mehr an - von den jeglicher Zeit entrückten Mes­serstechern einmal abgesehen, die zuweilen die Kunstwerke im Louvre oder im Prado heimsuchen.

Vielleicht aber verhält sich alles ganz anders. Vielleicht ist heute die Bilderfeindschaft größer, allmächtiger und zerstörerischer denn je. Und vielleicht hat sie ge­rade von jenen Besitz ergriffen, die unermüdlich, von morgens bis abends, Bilder pro­duzieren und verwalten, sie in Kisten hineinstecken und aus anderen Kisten herausholen, ihre Unberechenbarkeit domestizieren und ihren Eigensinn zur Raison brin­gen müssen. Verwunderlich wäre es nicht. Leute, die wie Derwische die Bilder­maschinen bedienen, die mit Millionen und Milliarden von Wirklichkeitsreflexen pro­fessionellen Umgang pflegen, um den Rest der Welt mit „Informationen“ oder zu­mindest „Zeichen“ (welcher „Bedeutung“ auch immer) zu versorgen, erziehen sich selbst dazu, ihr Metier zu verachten und die Objekte, die sie traktieren, als tägli­chen Müll zu entsorgen. Sie werden müde, ihre Augen beginnen zu tränen - sie ver­lieren notwendigerweise das Vertrauen zu sich selbst, zu der Welt, die sie „ab­bil­den“, und zu den Bildern natürlich auch.

Ein simples Beispiel aus der vergangenen Fernsehwoche, Heribert Schwans Bericht über das verkorkste und ziemlich mörderische Leben Erich Mielkes, eine Sen­dung der ARD. Ein normales Fernseh-„Feature“ der späten 90er Jahre, ein x-be­liebiges audiovisuelles Chaos, angerichtet von einem, der einmal ein ganz solider TV-Journalist war und jetzt das Dokumentarmaterial nicht wesentlich schonender bearbeitet als ein Messerstecher, der im Louvre über ein Aktbild der Renaissance herfällt.

Die alten Filme von den Klassenschlachten des Jahrhunderts, vom Blutmai 1929, vom spanischen Bürgerkrieg, vom zerbombten Berlin - sie taugen nichts mehr; sepiabraun getönt oder blaustichig ins Unheimliche „verfremdet“ dienen sie gerade noch als flackernde Folie für Mielkes omnipotente Nase, die sich permanent - mal von links, mal von rechts - auf die Bildfläche drängt. Als Gespensterköpfe ein­geblendet: die „Zeitzeugen“, die sich verzweifelt gegen das Ulbricht-Honecker-Krenz-Geflimmer im Bildhintergrund zu wehren haben. Kein Bild steht für sich allein, jedes muß gleichzeitig gegen andere Bilder und gegen den eigenen Untergang kämpfen. Mehr noch: das aggressive Mißtrauen gegen Bilder und Töne sucht Zuflucht in mal wimmernden, mal wabernden Keyboard-Musik-Mäandern, die von der ersten bis zur letzten qualvollen Minute das Elend dieser Sendung „illustrieren“: Tonschichten überlagern Tonschichten, Bilder verzehren Bilder, bis das audiovisuelle Massaker am Ende sich selbst verschlungen und sich buchstäblich in nichts: in semantischer Nichtigkeit, aufgelöst hat.

Das Vertrauen in die Bilder ist erschöpft. In den Bildermaschinen hat der Kampf gegen die Bilder begonnen.  

 

         Klaus Kreimeier

         1997