Glasfasern 73


Penetranz

 

Sportarten müsse man heute „ganz pragmatisch“ mit Produktmarken gleich­setzen (wie z.B. Beach-Volleyball mit dem Tee-Erzeugnis Liptonice), um „jun­ge Zielgruppen kommunikativ zu penetrieren“, gab Presseberichten zufolge der Ge­schäftsführer des Kölner Informationsdienstes „Sport + Markt“ zu Protokoll. Es könnte dahin kommen, daß sich die jungen Zielgruppen, sollten sie eines Tages nicht mehr jung, statt dessen ganz pragmatisch aus dem Markt geworfen worden sein, die Frage stel­len werden, warum sie niemand rechtzeitig vor diesem fürchterlichen Geschäfts­führer und anderen Strategen des Lifestyle-Kapitalismus gewarnt hat.

Eine schauderhafte Sprache zu sprechen, die nicht davor zurückschreckt, zu bekunden, daß sie auch wirklich meint, was sie so häßlich und brutal den Leuten ins Gesicht sagt, ist eine Wahrheitsliebe eigener Art, die den groben Keil bevorzugt, da sie nur grobe Klötze zu bearbeiten gelernt hat. Gegenwärtig, unter den Bedingungen des Markt-Totalitarismus, ist sie so trendy, wie sie es um 1933 war, als andere Geschäftsführer des Totalitären durchs Land zogen und sich selbst und ihrer Kundschaft einhämmerten, daß es nur darauf ankomme, den Leuten etwas einzuhämmern, um sie nach Strich und Faden übers Ohr zu hauen. Wie die Manager der Trendmarken von heu­te haben die Programmdesigner des Nationalsozialismus ihre Klientel nicht nur kommunikativ penetriert, sondern sie auch wissen lassen, daß und mit welchen Mit­teln sie es tun.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen der NSDAP und Konzernen wie Uni­lever oder Benetton, die wahlweise Beach-Volleyball oder Inline-Skating kreieren, um den Leuten ihre Produkte unter die Weste zu jubeln. Die Unterschiede sind nicht größer oder kleiner als der zwischen einem Reichsparteitag und einer Trend­artikel-Messe, zwischen menschenmörderischer Politik und geist­tö­­tender Warenwirtschaft. Selbst wenn man unterstellt, das Kapital sei „strukturell faschistisch“ und der Faschismus nur eine Ausgeburt des Kapitals, bleibt eine nicht unwesentliche Differenz, die nicht zuletzt darin besteht, daß die Markt-Terro­ri­sten keine Kon­zen­tra­tions­la­ger bauen, um Abweichler zu penetrieren. Der Markt selbst ist ja ein rie­­­siges eingezäuntes Lager, in dem fröhliche Geschäftsführer diktieren, welche Trend­sportart gerade angesagt ist - und den Unterworfenen eintrich­tern, daß nun, nach dem Verfall der Arbeit, allein der Fun sie frei macht.

Gleichwohl - man wird den Verdacht nicht los, daß all dies ein unerfreuliches Ende nehmen könnte. Es bedarf keines Propagandaministers, um die Abschüssigkeit des ganzen Unternehmens hinwegzulügen - das besorgt schon ein Großteil der Massen­me­dien. Die Penetranz derer, die mit dem jeweiligen Trend Millionengeschäfte machen, verweist auf einen Totalitarismus jenseits politischer Kategorien - auf ein Ter­tium Imperium ohne Stacheldraht, in dem Bombenstimmung herrscht, solange die Kaufkraft der „jungen Zielgruppen“ stabil bleibt. Erst wenn die ökonomische Ba­lance zu Bruch geht, kommt das Politische ins Spiel: In diesem Dilem­ma begegnen sich, möglicherweise, die Geschäftsführer von heute mit denen von damals. Ganz pragmatisch könnte dann die Penetration der Zielgruppen eine andere, weitaus unsanftere Form annehmen.

 

Klaus Kreimeier

 
1997