Glasfasern 62
Agisymba
Wenn Krieg ist im
schwarzen Afrika, flüchten die
einheimischen Bauern in den Busch, und
es hasten, sind die Kanonen auch in der Hauptstadt zu hören, die
Statthalter
der weißen Macht in ihre Hubschrauber, Jeeps und Rettungsboote.
Hals über Kopf,
mit leichtem Gepäck, stürmen Diplomatenfamilien,
Geschäftsleute, Verwaltungsbeamte,
Korrespondenten, Priester, Manager der technischen Revolution und
Samariter
der Entwicklungshilfe in einmütiger Entschlossenheit,
ihre heile helle Haut
zu retten, die Luxushotels des nicht minder von Aufruhr bedrohten,
wiewohl
nach dem Erkenntnisstand der weißen Zentralen als vorläufig
sicher geltenden
Nachbarstaats. Sind die Machtverhältnisse geklärt,
die Spuren der Plünderungen
verwischt und die Leichen von den Straßen geräumt,
kehrt die Nachhut der kolonialen
und postkolonialen Ära in ihre Stellungen zurück.
In Kinshasa steht sie nun
allerdings einer neuen Vorhut der
euro-amerikanischen Exploitation gegenüber,
die mit dem Sieger
einmarschiert ist und ganz andere Saiten aufziehen wird.
Lumumba mußten noch
die für Mord zuständigen Spezialisten des
CIA beseitigen, um der Rückkehr des weißen Mannes den
Flankenschutz zu
sichern. Mobutu war als blutgieriger Satrap und makabre
Häuptlingskarikatur der
geeignete Makler für die ungehinderte Fortsetzung der
kolonialen Aggression.
Doch erst mit seinen Nachfolgern bahnt sich das ganz große
Geschäft auf dem
derzeit erreichten Niveau der Ressourcenplünderung mittels
Großtechnologie und
multinationaler Kapitalkonzentration an. Inzwischen, im vierten
Jahrzehnt der
von Unterdrückern und Unterdrückten gleichermaßen so
genannten Unabhängigkeit
Afrikas, übertrifft Wall Street die alten Kolonialmächte bei
weitem in der
Fertigkeit, die willfährigsten Brutalos schwarzer Hautfarbe selbst
auszusuchen,
sie beizeiten zu bewaffnen und ihre Kriege zu finanzieren, um mit ihnen
möglichst noch vor Abschluß der Massaker über die
Neuorganisation des großen
Raubzugs, über Verträge und Geheimklauseln, Rendite und
Profitraten handelseinig
zu werden.
Während die
portugiesischen, niederländischen und britischen
Eroberer der heroischen Epoche als abenteuernde Seefahrer den Kontinent
von
seinen Rändern her einschnürten und unter Verlusten ins
Innere vordrangen,
setzt der Angriff der US-amerikanischen
Bergwerkskonzerne im Zentrum an, im
Herzen jener mystischen Finsternis, die der abtrünnige
Europäer Joseph Conrad
im Geschling der Kongowälder lokalisierte. Das Herz und mit
ihm alle
lukrativen Eingeweide Afrikas, von der Walze der Globalisierung
erfaßt, werden
jetzt von innen nach außen gestülpt und auf den
Gabentisch geschleudert, der
in der dritten Phase der kolonialen Zerstörung für
einige wenige in allen
Erdteilen operierende Multis bereitet ist. Afrika, bisher nach den
Millionen
seiner Hungertoten und Bürgerkriegsopfer berechnet, wird
künftig an den
Milliarden gemessen werden, die American
Mineral Fields Inc., die angeschlossenen Banken und in ihrem
Schatten das
internationale Heer der Börsenspekulanten aus seinem Boden
herauszupressen
entschlossen sind.
Zur Zeit des
Ptolemäus, schrieb Janheinz Jahn, war Afrika nur
das Küstenland an der kleinen Syrte, das heutige Tunesien.
Westlich und östlich
breiteten sich sagenumwobene Länder aus: Numidien und Mauretanien;
Cyrenaica,
Libyen und Ägypten; im Süden Äthiopien und Nubien.
„Alles unbekannte Land
weiter südlich war Agisymba.“ Der antike Name für das Afrika
südlich der Sahara
ist bis heute rätselhaft geblieben - „unerschlossen“ wie das
Gebiet selbst,
dem Hegel eine in Barbarei verharrende Geschichtslosigkeit
angedichtet hat.
Jetzt wird Agisymba Zug um Zug planiert und an die Umlaufbahn des
globalen
Kapitals angeschlossen. Und mit dem Rätsel, das es bis heute
geblieben ist,
verschwindet allmählich auch eine Phantasmagorie, eine
Projektionsfläche
abendländischer Obsession. Für die Urlauber werden
ein paar Palmen an den
Rändern, an der Küste der kleinen Syrte und an den
Stränden von Mombasa
bleiben.
Klaus
Kreimeier
1997