Glasfasern 52  

http://Jean Paul

Eigentlich hatte ich Jean Paul im Internet besuchen wollen. „Die Million Wesen sind einzelne auseinander geworfene Ichs, die alles so leer lassen wie flie­gen­de Sonnenstäubgen. Gott ist das Ich der Ichs; er fässet alle in Ein Wesen." Wer so etwas schreibt, dachte ich, wird eine eigene Homepage haben und im elektronischen Licht die Sonnenstäubchen zählen. „Die europäischen Nationen haben eine gemeinschaftliche Sprache in den - Zahlen“: Hier ahnte einer die digitale Co­­­­- die­rung der Welt und den von Netzen umsponnenen Globus vora us.

Im Web wirbeln Suchmachinen Ideen und Sterne, Staub und Schrott, die Jeans und die Pauls durcheinander. Auf die Verwechslung mit Sartre hatte ich mich rechtzeitig eingestellt. Allerdings nicht auf den Umweg über den Radiosender Va­tikan, der am 12. Februar 1996 gemeldet hatte, Papst Johannes Paul II. sei aus Lateinamerika zurückgekehrt, und Erzbischof Jean Louis Tauran ha­be sich mit Isabel Allende getroffen. Wie dieser Schrott länger als ein Jahr im Netz überleben konnte, ist mir schleierhaft. Als Jean Paul in Erwägung zog, sich in Schang Pohl umzubenennen, muß ihm gedämmert haben, daß Namen einmal weniger als Schall und Rauch, allenfalls Konglomerationen von Bytes sein würden.

Dem papistischen Nachrichtengewimmel folgte ein Abstecher zu dem Fri­sier­salon Jean Paul in McLean, 8201 Greensboro Drive, Northern Virginia - „fi­nest hair styling, coloring and highlighting for women and men.“ Fürwahr, das Internet ist auch eine „Milchstraße von glänzenden Pointen“, voller „Insek­ten­ge­sum­se“, das den Sonnenuntergang bedeutender Leute begleitet. Die zahllosen Verweise auf Sartre ignorierend, stürzte ich schließ­lich in die Homepage eines Informatik­stu­den­ten an der Berliner Humboldt-Universität ab, den es dräng­te, der Welt mitzutei­len, daß einer seiner Lieblingsfilme „Der Profi“ mit Jean-Paul Belmon­do sei.

Geographisch kam ich meinem Ziel näher, als mich die Stadt Bayreuth auf ihrer Web-Site zu einem Stadt­rundgang „auf den Spuren des Bierfreundes“ J.P. einlud, „überhaupt zu fränkischem Schlemmen und Freude am Leben“, gute Parkmög­lichkeiten inclusive. Bayreuth, meinte einst der Dichter, habe den Fehler, „daß zu viele Bayreuther darin wohnen.“

Ich weiß nicht mehr genau, wie es kam, aber plötzlich hatte ich, zwischen Wunsiedel und Hof surfend, die neu­e­ste Mittei­lung respektive „Hesperus“-Hunds­post der Feuerwehr Naila auf dem Bildschirm, der zu entnehmen war, daß am 3. März dieses Jahres in der Frosch­grüner Straße sechs Liter Hydrau­lik­öl aus einem Au­to­transporter ausgelau­fen seien; das Eindringen des Öls über ei­nen Entwässerungsschacht in den Ludelbach habe man jedoch verhindern können.

Die Home­­­page des Hofer Jean Paul-Gymnasiums hingegen verlor sich im Konvertierungsmüll, der sich las, als hätte der schon erblindete Dichter zwischen Biergenuß und Todesahnungen hemmungslos in die Tastatur gehauen: 5yU}yy§°°A NU% ^n=#ª.  „Oft weiß ich kaum, was ich eigentlich aus mir machen soll als Bücher“, hat Jean Paul einmal gedacht und flugs niedergeschrieben. „But don’t listen to Jean Paul, ask his customers what they think!“ annonciert mit Recht der Haarkünstler in Virginia. Die Kunden mögen entscheiden, J.P. will gelesen sein. Im Internet (http://gutenberg.informatik.uni-ham­burg.de) findet sich, zum Beispiel, der gesamte „Titan“.

Klaus Kreimeier

1997