Glasfasern
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Informationsgesellschaft
Seit
längerem sortiert man ja die handgeschriebene Post aus dem
täglichen Stapel aus, um sie für die besseren Tageszeiten
aufzuheben, die der Bemühung gewidmet sind, das Lesen nicht zu
verlernen. Briefe, die diesen Namen noch verdienen, sind seltener
geworden; da geht allmählich etwas unter, ohne daß man in
diesem Fall mit Sicherheit sagen könnte, daß etwas Neues
entsteht. Es überwiegt Wegwerf-Post oder Postwurf-Müll,
hochglanzkaschierter Dreck, der den Papierkorb füllt.
Rechnungen, Mahnungen und Kontoauszüge sind, wie die Drohbriefe
des Amts für öffentliche Ordnung wg. Parkvergehens, schon von
außen zu identifizieren und landen erst einmal in der
Zwischenablage, die im Hirn und auf dem Schreibtisch für sie
eingerichtet ist. Vormittags-Routine. Grau beginnt der Tag, der mit
hängenden Schultern vorm Fenster steht und selbst nicht
weiß, ob er noch dem Winter oder schon einer erfreulicheren
Jahreszeit angehört.
Dann
gibt man sich einen Ruck und befaßt sich mit dem Rest der Post,
hoffend, er könnte Überraschungen bergen. Die UNESCO
lädt zu einer Konferenz über die Informationsgesellschaft,
ethische Fragen des Informations-Zeitalters, Regulierung und
Selbstregulierung, drei Arbeitsgruppen, bitte notieren Sie den Termin.
Eine Universität bedankt sich für ein Manuskript und bittet
um die Diskette. Ein Zentrum für Filmforschung mahnt, das
Limit von 3000 Zeichen pro Beitrag unbedingt einzuhalten,
Zusendung über E-Mail oder als Diskette, aber: vorher auf
Viren überprüfen! Beste Grüße, frohes
Schaffen. Eine Filmgesellschaft teilt mit, daß sie einen Film
produziert hat, „Der Computer und sein Mensch“. Rufen Sie bitte an,
wenn Sie Fragen haben oder noch Fotos brauchen. Eine „Initiative
Informationsgesellschaft Medien Demokratie“ lädt ein zu einer
Veranstaltung mit dem Thema „Informationsgesellschaft - Was ist das?“
Ja,
was ist das bloß, diese Informationsgesellschaft? Was haben wir
uns da aufgehalst? Einen Haufen Post jedenfalls. Die Absender sind
länger geworden, weil sie uns außer der Postadresse noch die
Tatsache mitzuteilen haben, daß sie Angestellte
elektronischer Fabriken und digitaler Netzwerke geworden sind.
Gewiß: Noch immer gibt es Straßen, die Straßennamen
und Hausnummern haben; Briefträger bahnen sich, wie vor
undenklichen Zeiten, zwischen falsch parkenden Autos, Gartenzäunen
und Hundegebell ihren mühsamen Weg. Noch immer gibt es die
Vergangenheit. Das Präteritum ist noch intakt - jene
Zeitform, die laut Duden „das Geschehen als vergangen
charakterisiert, als abgeschlossen und ohne Bezug zur Gegenwart“.
Dank der Grundversorgung, die uns die gelbe Post garantiert,
können wir ohne Bezug zur Gegenwart noch immer Botschaften von
guten Freunden und vom Finanzamt empfangen.
Doch
das Telefon und der Fax-Anschluß sind schon so etwas wie
vollendete Gegenwart. Wir haben sie noch, behandeln sie aber wie
alten Hausrat, der demnächst auf dem Sperrmüll landen wird,
gleich neben den Computern vom vergangenen Jahr. Die Müllkippe
reguliert und dereguliert ihre Dienstzeiten nach Bedarf, ist jedoch
auch nachts über E-Mail und über das World Wide Web zu
erreichen, Adresse: http:/www./our world.compuserve.müll/de.
Die
Müllkippe reguliert Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft -
und dereguliert zugleich den bisher einigermaßen gesicherten
Gebrauch dieser Zeitformen, zusammen mit den ethischen Fragen, die sich
ergeben, wenn die Zeiten durcheinandergeraten. Die Viren
reguliert sie nicht - geschweige, daß sie sie entsorgen
könnte. Die Viren bleiben uns - eine vage Erinnerung an die
Zeit, in der es noch Druckfehler in den Büchern und falsche
Kommata in den handgeschriebenen Briefen gab.
Klaus
Kreimeier
1997