Glasfasern 32


Pay-TV

 

       Als in den achtziger Jahren die Krawalle in den europäischen Fußballstadien zu blutigen Stammeskriegen eskalierten und schließlich, im Brüsseler Heysel-Stadion, in eine tödliche Katastrophe mündeten, schlugen einige Phantasten vor, die unmittelbare Öffentlichkeit im Fußball abzuschaffen und die Spiele in leeren Stadien, exklusiv für die Fernsehkameras, zu veranstalten. Vom großen Spiel und von der Ekstase der Zehntausende, ohne die ein großes Spiel nicht zu denken ist, hatten diese Ratgeber nicht die blasseste Ahnung. Kein Wunder, daß ihr Vorschlag zu einem Fehlpaß wurde, der im höhnischen Pfeifkonzert der Fans unterging und schnell vergessen war.

       Es könnte jetzt dahin kommen, daß der Anschlag auf die letzte noch funktionierende Öffentlichkeit unserer Gesellschaft, von mächtigeren Instanzen eingefädelt, doch noch Früchte tragen und das circensische Massenvergnügen Fußball zum Privatissimum des vereinsamten, konsumistisch gezähmten Subjekts pervertieren wird. Die Geheimwaffe in dieser Strategie ist der Emfangs-Decoder, den jeder Fußballfreund schon heute benötigt, um zum Beispiel das „Top-Spiel der Woche“ auf seinem Fernsehschirm zu sehen. Das Privatfernsehen, Abteilung Pay-TV, sorgt dafür, daß wir uns zunehmend in einer verschlüsselten Welt bewegen. In einem verzauberten Wald, den wir nur als zahlende Abonnenten und mittels neuer, rätselhafter Maschinen zu dechiffrieren vermögen.

         Der  Hamburger Sender premiere setzt seine Offensive gezielt an einer strategischen Position der traditionellen Öffentlichkeit, bei den deutschen Gastwirten, an. Fußball, bis heute die einigende Quintessenz dieser Gesellschaft und das letzte Kulturgut, das uns zusammenhält, soll aus den Kneipen verschwinden und den Einzelnen auf sein Eigentum, will sagen: auf seinen Decoder und auf seine vier Wände verweisen. Die Anwälte des Senders formulieren in schöner Klarheit, daß ihre Geschäftsbedingungen nicht mehr und nicht weniger als die Auflösung des Gesellschaftlichen und die Destruktion der Öffentlichkeit zum Ziel haben: Ihre Decoder seien ausschließlich für „private Zwecke“ zu nutzen, nicht aber für „öffentliche Vorführungen“, wie sie die Gastwirte betreiben.

       Schalke gegen Dortmund - das ist eine Sache, die das Stadion füllt und ungezählte Tausende in die Kneipen des Ruhrpotts treibt. Damit also soll Schluß sein. Fußball ist Privatsache.  Der Thatcherismus geht um und zielt ins Zentrum unserer Emotionen und unserer ganzen Kultur. 

Die Pay TV-Veranstalter haben ermittelt, daß ihnen durch die unzulässige öffentliche Vorführung privater Fußballereignisse in deutschen Kneipen sechs Millionen jährlich durch die Lappen gehen. Aber die Gastwirte sind nur ein Brückenkopf in der Schlacht. Demnächst dürfte der Sender dem DFB vorrechenen, daß ihm die Hunderttausende, die jedes Wochenende in die Stadien strömen, das Geschäft mit dem Decoder verderben. Und der DFB, premiere-Gesellschafter Leo Kirch und die Polizei könnten sich darauf verständigen, daß Öffentlichkeit sowieso eine überflüssige und störende Angelegenheit sei: Sie steht nur herum, macht ein furchtbares Geschrei und prügelt sich am Ende gar; fast könnte man die Lust am Geschäft verlieren.

Es könnte aber auch sein, daß die Pay-TV-Idee an der Südkurve und vielleicht schon an den Gastwirten scheitern wird. Wenn in allen deutschen Kneipen das Top-Spiel der Woche zu sehen wäre, ginge dem Sender weit mehr als sechs Millionen durch die Lappen. Vermutlich müßte er den Vertrag mit dem DFB überprüfen. Und der DFB müßte wieder auf  seine Zuschauer setzen: auf volle Stadien - und auf volle Kneipen, die zum Fußball gehören, wie das Amen zur Kirche gehört. Der Kampf um die Öffentlichkeit wird also in unseren Gasthäusern entschieden werden. Bleibt zu hoffen, daß unsere Wirte sich bewußt sind, welche Verantwortung sie tragen.


Klaus Kreimeier
     1996