GLASFASERN 25
Die
Abbilder taugen ersichtlich nichts mehr, je perfekter sie werden. Kino,
Fernsehen, digitale Fotografie - Katastrophenfilme aus den virtuellen
Studios
des Silicon Valley,
Schlachtfeld-Reportagen aus der Live-Kamera, Erdbeben aus
der Helikopter-Perspektive,
havarierte Schiffe auf sämtlichen Meeren der Welt, im
Schlamm versinkende
Dörfer in den Alpen und in Bangladesh, exlodierende
Marktplätze in
Bosnien: je brillanter die Bilder,
desto
stumpfer der Genuß, den sie erzeugen. Auch die Meute, die zu
den „Titanic“-Resten
drängt, will ja am Ende nicht nur Bilder, sondern mindestens ein
Stück hartes
Material aus der nassen Tiefe, ein Souvenir mit eingraviertem
Echtheitssiegel
nach Hause tragen.
Seh-Maschinen,
die uns unablässig bereden, live dabei zu sein, produzieren
offenbar eine
fatale Wut zum „wirklichen“ Leben, eine Sucht, die danach drängt,
am eigenen
Leibe zu exekutieren, was die Mediensuggestionen an
„Entgrenzungen“
verheißen. Ein postmoderner élan vital, die Möglichkeit der
Selbsttötung
eingeschlossen, breitet sich aus und ist schon als
Massentourismus kommerzialisiert,
bevor ihn die Reiseveranstalter in ihre Kataloge aufgenommen haben. 75 000 Mark kostete bisher der Tod am Mount
Everest; eine deutsche Gruppe, die sich gerade im Basislager
versammelt,
zahlt schon etwas weniger.
Vier
Wochen Vorbereitungszeit benötigten die Filmarchitekten, damit
Fritz Lang 1926
in Metropolis eine Explosion drehen
konnte, die nie zuvor im Kino zu sehen war. Leni Riefenstahls Abenteuer
im
ewigen Eis des Montblanc oder in Grönland, ein paar Jahre
später, wurden von
Fanck schon quasi live gedreht, mit Ernst Udet als Kunst- und
Rettungsflieger.
In den dreißiger Jahren vertrieb der
Ufa-Schmalfilmverleih die Dokumentaraufnahmen
vom Untergang einer deutschen Nanga Parbat-Expedition bereits als
frühes
Home-Video an alle Haushalte, die sich mit dem
Volksempfänger nicht begnügen
wollten.
Auf
ihrem langen Weg zur Direktübertragung haben die
Katastrophenbilder ihren
Kurswert eingebüßt; die Liebe zum kalten Grauen, mit der sie
spekulieren, wurde vom Ennui
eingeholt, den die
Wiederkehr des Immergleichen unvermeidlich hervorruft. Jetzt
schießt die
Koketterie mit dem Entsetzen aus der Geisterbahn der Live-Aufnahmen
hinaus ins
wirkliche Leben - sei es als
luxuriöse
Leichenfledderei an mythischen Wracks, sei es als Experiment mit dem
eigenen
Tod.
Klaus
Kreimeier
1996