GLASFASERN  22 


Ja/Nein


Wer von Zeit zu Zeit  mit der Lufthansa (zum Beispiel) telefoniert, weiß, was ein Binär-Code ist - selbst dann, wenn er diesen Begriff noch nie gehört haben sollte. Zunächst will die automatische Stimme am anderen Ende die Sprachenfrage klären. „Wünschen Sie eine Auskunft in deutscher Sprache? Bitte, ant­worten Sie mit ja oder nein.“ Wer nach dem folgenden Piepston verstummt, weil er über diese Frage noch nicht nachgedacht hat, hört  prompt: „Wünschen Sie ei­ne Auskunft in englischer Sprache? Bitte, antworten Sie mit ja oder nein.“ Nach einigem multilingualen Hin und Her ist das Verständigungsproblem gelöst, so daß die Automatenstimme nun zu den Sachfragen kommen kann: „Wol­len Sie einen Flug buchen? Bitte, antwor­ten Sie mit ja oder nein.“ - „Wollen Sie eine Buchung rückgängig machen? “ Und so weiter.

Kaum hat man das Ja/Nein-Schema kapiert und das restliche Vokabular, das man im Leben dann und wann benötigt, bis auf weiteres in eine Zwischenablage gepackt, mel­det sich eine freundliche Live-Stimme und fragt nach den Einzelheiten. Jetzt erst ist es möglich,  je nach Bedarf  zu nuscheln, zu lügen, sich dummzustellen, sich zu beschweren, unverständliche  Wortspiele zu machen oder neckisch „jein“ zu sagen - kurzum, allen Gewohnheiten zu frönen, die das Leben mit dem Telefon verschönern und die so selten geworden sind, weil man es zunehmend mit automatischen Anrufbeantwortern zu tun hat, die einem höchste intellektuelle Präsenz abverlangen.

Je differenzierter die Arbeitsteilung in den großen Verwaltungskomplexen wird, desto simpler werden die Schemata, die man an die Hand bekommt, um sich durchzufragen. (Eine Tendenz, die auch an den immer größeren, immer bun­teren und immer kindischeren, „Logos“ genannten  Pfeilsystemen abzulesen ist, die uns auf Bahnhöfen, in Fußballstadien und anderen Massenverknotungseinrichtungen belehren, wie wir den Weg zur Toilette, zum Restaurant oder zum Notarzt finden.)

Dem Computer, der kompliziertesten Maschine der bisherigen Technikgeschichte, ist die bisher einfachste Lösung in der Frage der Darstellung von Daten zu danken:  die Übersetzung aller Informationen in Bits und Bytes nach dem Schema 1 oder 0,  Ja oder Nein. Das Leben  ist damit einfacher geworden - und schwieriger zugleich. Denn daran, daß alle Fragen dieser Welt letztlich mit Ja oder Nein zu beantworten sind, muß sich auch das anspruchsloseste Gehirn erst einmal gewöhnen. Von Natur aus einsilbige Menschen hingegen dürften an den Telefonaten mit Lufthansa Gefallen finden.

Von der technisch unproblematischen Möglichkeit, das Gespräch mit einem Fluggast vom „Guten Tag“ bis zur kompletten Buchung nach dem Binär-Code abzuwickeln, werden die Fluggesellschaften allerdings erst Gebrauch machen, wenn sie ihre Kunden dazu abgerichtet haben, auf die Ja/Nein-Kommandos so unverzüglich zu reagieren, wie eine Taste auf den Tastendruck reagiert. Andernfalls könnte die Buchung einer vierköpfigen Familie nach Katmandu (zum Beispiel) mehr Zeit in Anspruch nehmen, als Flug und Rückflug zusammen benötigen.

Darüber hinaus müßten die Auskunftheischenden  in der Lage sein, die unvermeidliche Fehlerquote durch gutfunktionierende Stop-Codes und On Error-Anweisun­gen so zu minimieren, daß die Kommunikation nicht zusammenbricht. Es könnte sich ja noch herausstellen, daß es Situationen gibt, in denen nichts schwieriger ist, als sich zwischen Ja und Nein zu entscheiden.

 
Klaus Kreimeier

1996