GLASFASERN  19
                   
                    16 : 9


Die Kosten, die der Golfkrieg verschlungen hat, wurden nie veröffentlicht; ebenso wenig die Zahl der Menschen, die auf irakischer Seite umgekommen sind. Heute drängt sich der Verdacht auf, die USA und ihre Verbündeten hätten diesen Krieg in erster Linie geführt, um dem Fernsehsender CNN zur Vormachtstellung auf dem Markt der Nachrichtenübermittlung zu verhelfen. Zumal ein Kanal wie CNN sich vorzüglich dafür eignet, das bis heute virulente Gerücht, es sei damals um die Kontrolle der Ölfelder am Golf gegangen, mit Nachdruck ins Reich der Legende zu verweisen. Jedenfalls - für die Steuergelder, die aus etlichen Regierungskassen in den Golfkrieg geflossen sind, wurden die Steuerzahler in aller Welt mit einem schönen neuen TV-Kanal entschädigt.

Im Fall der bevorstehenden Olympischen Spiele von Atlanta verhält sich alles friedlicher und übersichtlicher, und obwohl die Kosten wieder einmal eine Rekordhöhe erreichen werden - billiger als Kriegführen ist Olympia allemal. Auch hier bleibt uns, wenn alles vorbei sein wird,  ein Geschenk von bleibendem Wert. Dafür bürgt die Europäische Union, die schon 1993 mit Blick auf die Fernsehübertragungen aus Atlanta einen „Aktionsplan“ für das Breitbildschirm-Format 16:9 verabschiedet hat. Das ZDF übernahm die Federführung und hat jetzt einige Zahlen veröffentlicht.
 
Danach kostet die Produktion und Übertragung von täglich 24 Stunden Leibesübungen im HDTV-Format ganze 26 Millionen Mark. Das dürfte uns die Gebühren wert sein, zumal uns das ZDF verheißt, zweieinhalb Wochen lang  täglich16 Stunden „live dabei“  sein und bei ausreichendem Enthusiasmus überdies die „wettkampffreie Zeit“ für die Besichtigung von Aufzeichnungen nutzen zu können. Hinzu kommt die Aussicht, daß die „produzierten Beiträge zukünftig für hochqualitative Medien (HDTV, Online-Dienste, Multimedia etc.) uneingeschränkt nutzbar“ sein werden. Atlanta 96 als endlose Recycle-Schleife im Internet. Die üble Nachrede, daß es „online“ keine sinnstiftenden Inhalte gebe, wäre somit widerlegt.

Obendrein wird alles noch billiger, weil die Europäische Union den Beschluß gefaßt hat, sich mit 12 Millionen an den ZDF-Kosten zu beteiligen, um erklärtermaßen „die Produktion und den Verkauf von Breitbild-Endgeräten zu forcieren.“ Die Kriege zu Beginn der neunziger Jahre hatten zwar dem Nachrichtengeschäft einen Boom verschafft  - die Kriegsberichterstattung jedoch war, psychologisch gesehen, wohl nicht gerade geeignet,  den Umsatz von Breitbildschirmgeräten in Europa voranzutreiben. Verständlich, daß die einschlägigen Industriekreise die Olympischen Spiele und mit ihnen den Völkerfrieden herbeisehnen.

Etwas Geld, das ohnehin die europäischen Verbraucher zu zahlen haben,  in eine allgemein als friedensfördernd anerkannte Institution zu stecken, ist nicht nur moralisch sinnvoll, sondern dürfte sich auch als werbewirksam erweisen, solange sich noch nicht richtig herumgesprochen hat, daß Bilder im Format 16:9  allemal „in­haltsreicher“ (so das ZDF über die neue Technik) sind als im antiquierten 4:3-Format. Und daß der Endverbraucher einen kleinen Teil seiner Steuergroschen dafür abzweigt, um sich dafür begeistern zu lassen,  rechtzeitig zur Eröffnungsfeier eines der schönen japanischen Geräte im „digitalen Komponentenformat ohne Datenreduktion“ zu erwerben, hat auch seine (Markt-)Logik. Die Panasonic-Werbung hat das ZDF seiner Olympia-Broschüre gleich beigelegt.

Im übrigen war schon in der Antike Olympia nur ein Zwischenspiel zwischen den Kriegen. Der neue Inhaltsreichtum von 16:9 dürfte sich in absehbarer Zeit auch für die Granaten- und Raketenspezialisten von CNN als lukrativ erweisen.

 

Klaus Kreimeier
1996

zurück