GLASFASERN 14
Formatiert
Es
brach die Epoche der Garten-, Kinderspielplatz-, Stichstraßen-
und
sonstigen Sommer-, Bier-
und
Grillfeste aus, erkennbar an den weißen, baldachinartigen
Spaß-Zelten (wie
sollte man sie anders nennen?), die sich seit einigen Jahren, bei
entsprechend
guter Wetterlage, als pseudo-orientalische Behausung neudeutschen
Gemeinschaftssinns bewähren. Es ist eine Lüge, daß die
Bürger dieses Landes des
Frohsinns unkundige, an emotionaler Auszehrung leidende, notorisch kommunikationsfeindliche Geschöpfe seien.
Gefeiert
und kommuniziert wird, bis die Lautsprecher der gemieteten Tonanlage
bersten.
Denn
technisch ist die trotz Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit
nachgerade
überschießende gute Laune in diesem Land auf das beste
gerüstet. Die Blaupausen
für Ausstattung, Programm, Akustik, Beleuchtung und Kostüme
liefern die
Fernseh-Shows mit ihrer Disco-Ästhetik. Kaum eine
Straßenfestivität oder eine
Grill-Orgie im Park, die nicht multimedial „gestylt“, von den
Spaß-Formaten
sämtlicher TV-Kanäle überformt wäre: von den
Techno-Rhythmen über die
Schallverstärker, Ansagerituale und Play back-Gesangsnummern bis
zum „Outfit“
der Beteiligten, die buchstäblich bis aufs Haar den Kandidaten in
Jürgen von
der Lippes „Geld oder Liebe“ gleichen. Was spontan scheint - und
subjektiver
Spontaneität keineswegs entbehrt - ist kulturell codiert, folgt
ästhetischer
Gesetzmäßigkeit und sonnt sich, durchaus selbstbewußt,
im Glanz jener zweiten
Wirklichkeit, die uns vom Bildschirm aus dirigiert.
Die erste
Realität als Kopie der zweiten, die wiederum ohne die erste nicht
zu denken
wäre: Vermutlich liegt hier das Neuartige, Essentielle dessen, was
als
„TV-culture“ geliebt, gehaßt, geringschätzig abgetan, in der
Regel jedoch gar
nicht wahrgenommen wird. Zwar zeugten schon Kinostars ihre Imitationen,
und in
allen früheren Epochen hat der Alltag Rituale ausgeprägt, die
ihre Vorbilder
suchten - sei es in der Religion, im Mythos oder im stilistischen
Repertoire
der oberen Klassen. Aber das Fernsehen ist weder eine religiöse
oder mythische
Institution, noch wird es (entgegen landläufiger Ansicht) von einer gesellschaftlichen Elite
manipuliert. Es verfügt über keine
eigene Ästhetik, noch spricht es eine nur ihm eigentümliche
Sprache. Es
absorbiert vielmehr alle im Gemeinwesen virulenten Sprachen und
Lebenskonventionen, verrührt sie, synthetisiert sie und setzt sie
zu Mustern
zusammen, die wiederum als Gestaltungsvorlagen auf den
gesellschaftlichen
Alltag zurückwirken.
So kommt
eins zum andern: unser Verlangen, wir selbst zu sein - und die
Schwierigkeit,
dem Abbild unseres Selbst zu entgehen, das „die Medien“ entwerfen.
Klaus
Kreimeier