Glasfasern 94
Rambos
Das
Aufkommen von Geländewagen hat in unseren Städten zugenommen.
Zuversichtlich
stimmt dies nicht, denn offenbar stellt sich ein Teil der motorisierten
Bevölkerung auf eine Verschlechterung nicht nur des befahrbaren
Terrains,
sondern auch der gesellschaftlichen Verkehrsformen ein. Die Rambos
unter den
Autofahrern rüsten sich für den Dschungelkrieg und geben sich
mit Attrappen
nicht mehr zufrieden. Lange Zeit war ja alles nur Bluff. Solange die
Dinger trendy waren, sahen sich die
Geländewagenhersteller ermutigt, Fahrgestelle zu
verkaufen, die wie Geländewagen
aussahen, obwohl sie schon auf harmlosen Feldwegen beim Anblick
eines
landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugs zu Tode erschraken und ihren
Geist aufgaben.
Diese
Zeiten sind vorbei. Die Rambos haben sich den letzten Vietnamfilm genau
angesehen und bestehen nun mit Nachdruck auf Qualität. Rambos sind
Leute, die
überhaupt zu viele Filme über den Vietnamkrieg gesehen und
sich entschlossen
haben, ihn auf Kosten anderer auf unseren Straßen
nachzuspielen. Da etliche
Gemeinden nicht mehr das Geld aufbringen, um die nötigsten
Straßenreparaturen
durchführen zu lassen, setzen gerade die Schlaglöcher, die
sie in der Regel
selbst produzieren, die Rambos scheinbar ins Recht.
So
kommt es, daß immer mehr echte Geländewagen mit
Vierradantrieb, gepanzerter
Karosserie, beängstigenden Reifenprofilen und hohem
Schadstoffausstoß die
Städte terrorisieren und eben jene Dschungelverhältnisse
herbeiführen, denen
sie angeblich vorbeugen wollen. Ihre Besitzer proben mal Guerilla, mal
ein bißchen
Todeskommando. Bevor sie ins Stadtzentrum fahren,
preschen sie durch eine
Jauchegrube, um vorzutäuschen, daß sie gerade aus dem
Urwald gekommen
sind.
Unschwer
läßt sich das folgende Szenario entwerfen: Die
Geländewagen vermehren sich,
die Schlaglöcher auch. Aufgerissene Fahrbahnen begünstigen
den Grünwildwuchs,
der von den kommunalen Gartenbauämtern nicht mehr bekämpft
werden kann, weil
deren Fahrzeuge in den überwiegend von Geländewagen
verursachten
innerstädtischen Staus steckenbleiben. Steppenfeuer und
Waldbrände, mitten in
den urbanen Kerngebieten, werden die Folge sein. Zusammen mit der
unaufhaltsamen
Erwärmung der Erdoberfläche und der fortschreitenden
Korruption der Politiker
wird der Trend zum Geländewagen den Vormarsch der
südlichen Hemisphäre und
somit die Verslumung Zentraleuropas beschleunigen. Es wäre ein
Irrglaube,
anzunehmen, Städten wie Frankfurt am Main oder Berlin
werde das Schicksal
Kinshasas auf alle Zeiten erspart bleiben.
In
Amerika heißen Geländewagen light trucks
- ein Euphemismus, der die gefährdeten Fußgänger
besänftigen und mit der
Tatsache versöhnen soll, daß die Halter der
Vehikel, von denen sie überfahren
werden, weder eine Luxus- noch eine Benzinsteuer zu entrichten haben.
Bei uns
dürfte eine entsprechende Befreiung von der Kfz-Steuer nicht nur
den Absatz von
Geländewagen steigern, sondern auch, da das Steueraufkommen sinken
würde, die
Zahl der Schlaglöcher multiplizieren, was wiederum die
Tiefbaubranche veranlassen
könnte, in größerem Ausmaß als bisher die
für den Straßenzustand
verantwortlichen Kommunalpolitiker zu bestechen -
sinnvollerweise mittels
dazu bereitgestellter, das heißt von der Umsatzsteuer
befreiter Geländewagen.
Ungeachtet der Tatsache, daß einige erschöpfte Soziologen
noch immer darauf
hinweisen, daß die steuerliche Begünstigung
besserverdienender Rambos dem
Projekt einer zivilen Gesellschaft nicht besonders dienlich sei.
Klaus
Kreimeier
1997