Glasfasern 79


Mutationen

 

Daß mir mein Computer, kaum habe ich ihn angeworfen, gleich eine halbe Sinfonie um die Ohren schmettert, obwohl ich ihn nur als simple Schreibmaschine be­nutzen will, ist eine Frage der Gewöhnung; außerdem kann man die Tonboxen ja  abschalten. Nachdenklich indessen stimmt der Wandel, der in der Welt der Dinge überhaupt und vor allem mit den Apparaturen vor sich geht.

Die Dinge sind nicht mehr das, was sie sind. Oder vielmehr: sie sind das, was sie sind, und sie sind zugleich etwas anderes. Das ist eine Erfahrung, die man heu­te in jedem Supermarkt, beim Telefonieren, beim Fliegen, im Hotel oder eben auch am Schreibtisch machen kann. Die Schreibmaschine ist eine Jukebox. Der Fahr­stuhl im Hotel ist eine Tonkabine. Das Flugzeug ist ein Kino mit miserabler Film­projektion, und das Fernsehgerät ist womög­lich ein Plüschmöbel, das applaudiert, wenn man es einschaltet - glaubt man jedenfalls der Agentur Schaum & Schlag (Name geändert), die für den Landesverband des Bayerischen Einzelhandels jetzt eine Funk-Imagekampagne zum Thema Service gestartet, nein: gelauncht hat und dabei das Ziel verfolgt, den Kunden „ungewöhnliche Wünsche“, zum Beispiel nach fernbedienbaren Deorollern, zu ent­locken.

Wenn die Dinge immer etwas anderes sein wollen als das, wozu sie zu gebrauchen sind, muß man froh sein, wenn man noch einen Hebel findet, mit dem man notfalls ihre Zusatzfunktionen einfach stillegen kann. Bei Computern klappt das ganz gut, vorausgesetzt, man hat eine anständige Software. Aber wenn sich das Flugzeug in ein Kino verwandelt, ist kaum etwas zu machen; es kann sogar schlim­mer kommen als im wirklichen Kino, weil man bei einem schlechten Film nicht ein­fach aussteigen kann. Ein Fernsehgerät aus Plüsch ist vermutlich weder als Fernseher noch als Kopfunterlage sinnvoll zu verwenden. Und ob ein Deoroller noch funk­tioniert, wenn man die eingebau­te Fernbedienung abgestellt hat, ist eine jener bangen Fragen, über die man bei der Agentur Schaum & Schlag auch bei hartnäckigem Nachforschen keine Auskunft erhält.

Dabei sind es die Media- und Marketing-Agenturen, die sich an die Spitze der Entwicklung gesetzt haben und für die schleichenden Metamorphosen unserer Ge­brauchsgüter an erster Stelle verantwortlich zu machen sind. Ein Handy-Her­stel­ler in Skandinavien erfindet zum Beispiel ein Handy mit bunten, auswechselbaren Ta­staturschablonen, aber er würde wahrscheinlich auf dem Ding sitzenbleiben, wenn nicht die Stockholmer Agentur Tand & Talmi (Name geändert) eine internatio­nale Kampagne entfesseln und das Frankfurter Produktmanaging-Unter­neh­men  Tricky Trash (Name geändert) die Sache adaptieren und sich einen Claim ausdenken würde. Der lautet Express yourself, und seither gibt es Handys mit dem Bildmo­tiv extravaganter Typ im Fischmantel.

Die Dinge sind im Begriff, zu ihrer eigenen Parodie zu mutieren, und zuneh­mend verschwindet das, was einmal ihren Gebrauchswert ausgemacht hat, im schrillen Schickschnack teurer Scherzartikel. Ökonomisch ist diese Entwicklung nur damit zu erklären, daß der Markt mit Konsumgütern verstopft ist. Unsere Woh­­nungen sehen Warenlagern zum Verwechseln ähnlich und sind ziemlich unbewohnbar geworden. Die Freude am Konsum läßt nach; Trauer legt sich wie Mehltau auf die Kaufkraft und lähmt auch die Reiselust. Es ist egal, ob man sich entschließt, vor dem Fernseher zu bleiben oder zu den Malediven zu fliegen - beides läuft auf Kino und Popcorn hinaus.

Unser Wirtschaften produziert eine gefährliche Lethargie, die zur Zeit die In­landnach­fra­ge runiniert und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe treibt; mittelfristig gesehen, könnte solche Erschlaffung, gerät auch sie erst einmal in den Mahl­strom der Globalisierung, sogar Wallstreet und den drei oder vier Megakonzernen, die gegenwärtig die Welt unter sich aufteilen, erheblichen Verdruß verschaffen. Da können, so die Logik der Agenturen, nur Plüsch und Plunder helfen. Typen im Fisch­mantel sollen für den neuen Aufschwung sorgen.    

 

         Klaus Kreimeier

         1997